Mal Wasser, mal Land...

Artenreichster Lebensraum unserer Heimat: die Weichholzaue

Viele Menschen möchten die Schönheit der Natur in unseren heimischen Gefilden bei Spaziergängen und Wanderungen erleben. Fluss- und Bachtäler sind häufig von Wanderwegen gesäumt. Bedingt durch ihren Strukturreichtum und die dadurch hervorgerufene Artenvielfalt, haben Aufenthalte in diesem sensiblen Lebensraum einen hohen Erlebniswert.

 

Bisher noch nicht vom Menschen veränderte, gewässerbegleitende Bereiche haben Seltenheitswert. Es sind die „Weichen Auen“. Ihren Namen verdanken sie dem dort häufigen Vorkommen von Weiden- und anderen Strauch- oder Baumarten, die wegen ihres grobporigen, forstlich minderwertigen Holzes als Weichholz bezeichnet werden.

 

Die Weichholzaue bildet den Übergangsbereich vom Wasser zum Land. Teilweise wochenlange Überflutungen, aber auch gelegentliche Trockenheit, nährstoffarme Sandanlagerungen und nährstoffreiche Verlandungsbereiche bilden ein Mosaik verschiedener Lebensräume.  So können sich Strauchzonen, Röhrichte und auch vermoorte Flächen (Niedermoore, Abb. 1) wie ein Mosaik abwechseln.  Neue Sand- oder Kiesanlagerungen, hervorgerufen durch Hochwasser, werden häufig zunächst von Kriechendem Hahnenfuß, Rohrglanzgras sowie Ampfer- und Knötericharten besiedelt. Sie sind die Wegbereiter zur Befestigung des frischen, noch beweglichen Sediments.

 

 

Abb. 1: Niedermoor
Abb. 1: Niedermoor

 

Aber auch die Strauchweiden oder Pappeln finden sich dann schnell ein. Durch leichte Verbreitung und schnelle Keimung der Samen sind sie extrem angepasst an instabile Lebensräume. Hochwasser oder auch winterliche Vereisungen (Abb. 2) führen häufig zum Abbruch von Zweigen, Ästen oder auch zum Umstürzen von Büschen und Bäumen. Den Arten der Weichen Aue macht das nichts aus. Im Gegenteil: Jede Bruchstelle treibt neu aus (Abb. 3a, 3b). Abgebrochenes verfängt sich irgendwo am Ufer, wurzelt sofort und erwächst sich zur neuen Pflanze.

 

 

Abb. 2: Winterliche Vereisung
Abb. 2: Winterliche Vereisung

Abb. 3a und 3b: Die Weiden treiben nach der Überschwemmung neu aus.

 

Durch den stetigen Laubeintrag der Sträucher werden die anfangs nährstoffarmen Sand- oder Kiesanlandungen immer fruchtbarer, und es können sich dann anspruchsvollere und hochstämmige Arten wie Schwarzpappeln und Erlen etablieren. Diese Arten bilden häufig die Verbindung zwischen dem Flussufer und den höhergelegenen Laubwäldern der Hartholzaue. Aber Vorsicht: Die Grenzen sind im wahrsten Sinne des Wortes fließend, schon das nächste Hochwasser kann alles verändern. Die Weiche Aue hält sich nicht an lehrbuchmäßige Zonierungen. Das von teils stark unterschiedlichen Untergründen und ebenso unterschiedlichen hydrologischen Verhältnissen geprägte Gelände kann sein Gesicht schnell ändern, teilweise auf engstem Raum (Abb. 4a, 4b). Jedes Hochwasser kann die Strukturen verändern. Vorhandene Altarme werden zugeschwemmt, während neue Altarme ausgespült werden und sich gleichzeitig die Uferlinien verändern. Die Altgewässer sind immer vorübergehender Natur. Werden sie nicht zugeschwemmt, wachsen sie zu. Beginnend mit Schwimmblattpflanzengesellschaften (Abb. 5) und Krebsscheren setzt die Verlandung ein. Dieser über viele Jahre währende Prozess bietet wiederum vielen Spezialistinnen im Tier- und Pflanzenreich Lebensraum.

 

 

Abb. 4a und 4b: Unterschiedliche hydrologische Verhältnisse am selben Standort.

Abb. 5: Schwimmblattpflanzengesellschaft
Abb. 5: Schwimmblattpflanzengesellschaft

 

Dynamik als Grundlage für Artenreichtum!  Sumpfdotterblume, Schwertlilie, Mummel, Gilbweiderich, Beinwell, Hopfen, Traubenkirsche und roter Hartriegel … Sehr viele, teils gefährdete Pflanzenarten haben hier ihr Zuhause. Die gleiche Vielfalt findet sich bei den Tierarten. In der kalten Jahreszeit suchen hier Wintergäste wie Zwergtaucher und Gänsesäger Nahrung. Im Frühjahr sind die zahlreichen Blütenkätzchen der Weiden überlebenswichtig für die Pollenversorgung von Wildbienen, Schwebfliegen, Wespen und Honigbienen. Reptilienarten wie Sumpfschildkröte und Ringelnatter nutzen die ersten Sonnenstrahlen, um auf „Betriebstemperatur“ zu kommen, während diverse Amphibien wie Erdkröte und Moorfrosch jetzt zur Vermehrung schreiten. Im Sommer haben Libellen (Abb. 6) hier Plätze für die Eiablage oder zum Jagen. Die Unzugänglichkeit des Areals bietet besonders scheuen Tierarten wie Fischotter, Flussuferläufer, Eisvogel oder Waldschnepfe Lebensraum und Kinderstube. Beutelmeisen, Blaukehlchen, Rohrsänger, Grünfüßiges Teichhuhn (Abb. 7) und viele andere Vögel bauen hier ihre Nester.

 

 

Abb. 6: Libellen bei der Paarung
Abb. 6: Libellen bei der Paarung
Abb. 7: Grünfüßiges Teichhuhn
Abb. 7: Grünfüßiges Teichhuhn

 

Gerade im Frühjahr sind es die Vögel, die einen morgendlichen Spaziergang in der Weichen Aue zu einem besonderen Klangerlebnis machen. Nirgendwo anders in unseren Breiten wird das Vogelkonzert von so vielen unterschiedlichen Stimmen intoniert!

 

Jetzt kommt allerdings noch ein Wermutstropfen hinterher: Leider gibt es in unserem Raum fast keine intakten Weichholzauen mehr. Sie wurden im Laufe der vergangenen etwa 200 Jahre von uns Menschen „überformt“. Das bedeutet eine Veränderung bis zur Unkenntlichkeit. Die Weiche Aue lebt von Naturbelassenheit und regelmäßigen Überflutungen. Bleiben diese aus, dann verschwindet das Biotop!

 

Die Kosten der Kultivierung (Nutzbarmachung) der Weichholzauen durch uns Menschen wurden sehr häufig mit Steuergeldern (Fördermitteln) bezuschusst. Dass dies volkswirtschaftlich unsinnig war und ist, wissen wir heute. Weder land- noch forstwirtschaftlich sind diese Flächen gewinnbringend zu nutzen. Dort gepflanzte Wälder, zum Beispiel aus Fichten, werden häufig vom Sturm umgeworfen oder fallen dem Borkenkäfer zum Opfer. Das Grünland für die Milchviehwirtschaft auf diesen Flächen muss immer wieder aufwändig drainiert werden. Milchseen und Butterberge sowie den damit verbundene Preisverfall ebendieser Produkte könnten wir verhindern, wenn wir der Natur die Weichholzauen zurückgeben würden!

 

Durch die Renaturierung der Weichen Auen ließe sich das derzeitige, krisenhafte Ausmaß des Artensterbens eindämmen. Dieser Naturlebensraum hat darüber hinaus ein erhebliches Potenzial zur massenhaften Bindung des klimaschädlichen CO2 und ist damit eine volkswirtschaftlich sehr kostengünstige Möglichkeit, den Klimawandel abzumildern. Aufgrund ihrer „Schwammwirkung“ kann die Weiche Aue die gefährlichen Auswirkungen von Hochwasserereignissen auf unsere menschlichen Siedlungen erheblich verringern, oft sogar gänzlich verhindern.

 

Außerdem ist die Weichholzaue zu jeder Jahreszeit wunderschön! Je intakter sie ist, desto mehr ist ein Besuch dort Labsal für Körper, Geist und Seele von Spaziergängerinnen und Spaziergängern. Wir sollten der Natur dort Vorrang lassen! Bleiben Sie deshalb bitte unbedingt auf den Wegen und genießen Sie, ohne Ihre Mitlebewesen zu stören.